Wien — Österreich

Werkstatt Sozialwissenschaft

Links (Fortsetzung) zu den Sozialwissenschaften, ihren Disziplinen,

ihren Institutionen in Österreich und international — WiWi 5

 

 

 

Kurzer Überblick über die Entwicklung von Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften

A) Wirtschaftsentwicklung und vorwissenschaftliche Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften

B) Wirtschaftsentwicklung und wissenschaftliche Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften

a) Vom Merkantilismus bis zum Zweiten Weltkrieg

b) Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ausbruch der Finanzkrise

c) Nach dem Ausbruch der Finanzkrise bis heute

 

C)          Wirtschaftswissenschaften in der Krise: Ende oder Neuaufbruch?

 

Recht bald nach Ausbruch der Finanzkrise hob nach dem Februar 2009 in Deutschland eine als deutscher Ökonomenstreit bekannte Auseinandersetzung an, bei der mathematisch-empirisch orientierte Volkswirtschaftler mit Vertretern theoretisch orientierter Wirtschaftswissenschaften aneinander gerieten. Ausgangspunkt war die geplante Neubesetzung des Kölner Instituts für Volkswirtschaftslehre, die die Kritik emeritierter Professoren auf den Plan rief, aber auch Gegenstimmen wie die von von Weizäcker. Schließlich obsiegten die empirisch orientierten Neuerer, der Streit ebbte später ab. Rüdiger Bachmann, einer der Neuerer, fasste März 2010, rund ein Jahr nach dem Ausbruch des deutschen Ökonomenstreites, diesen unter dem Begriff Neuerer Methodenstreit zusammen und legte einen detailierten Verlaufsbericht zum deutschen Oekonomenstreit online vor.

Doch auch die Volkswirtschaftslehre kam im Gefolge der Finanz– und Wirtschaftskrise national und international selbst in die Krise. Die Krise entzündete sich an der Frage, ob die Wirtschaftswissenschaften überhaupt in der Lage seien, volkswirtschaftliche Diagnosen, geschweige denn Prognosen zu erstellen oder gar wirtschaftspolitische Empfehlungen auszusprechen. Und wenn sie dies können, ob die Wirtschaftswissenschaften nur im Rahmen der herrschenden, aber falschen, der Wirklichkeit unangemessenen Mainstreams versagten? Braucht man also nur die Paradigmen wechseln, um mit der Wirklichkeit klar zu kommen?

Stellungnahmen dazu gab es von Akerlof-Shiller, Wirtschaftsethikern, Olaf Storbeck und Christoph Gran, der eine neue, selbstkritische, post-autistische Wirtschaftswissenschaft fordert; Kritik gab es seitens der Neuro-Oekonomen, von dem Finanzmagnaten Soros, der eine Art Gegeninstitut gründete. Die Problematik wurde auf internationalen Tagungen, zuletzt auf der der Royal Economic Society, Guildford, 2010, diskutiert.

Kritisiert wurde, dass die Wirtschaftswissenschaften in ihren Modellen gerade die Finanzmärkte ausgeblendet hätten, so Raghuram Rajan, zu wenig auf menschliches Verhalten eingingen, so Paul Krugman bzw. unbeirrbar dem simplen Glauben an einen hochrational agierenden homo oeconomicus nachhingen, so eine Reihe unorthodoxer Oekonomen und rezent Holtermann-Storbeck; die Wirtschaftswissenschaften hätten zuviel Vertrauen in die Effizienz von Finanzmärkten, die man daraufhin zu wenig beforscht hätte, und in die Rationalität der Marktteilnehmer gezeigt, die man überschätzt habe, so die Kritiker herkömmlicher Wirtschaftswissenschaften.

Auch über die in den letzten Monaten viel diskutierten Regulierungen, allen voran von Finanzmärkten, und deren Auswirkungen sind sich die Wirtschaftswissenschaften letzten Endes nicht klar. Ein Mannheimer Forschungsprojekt zur Politischen Oekonomie von Reformen soll auf allgemeinerer Basis Abhilfe schaffen. Neue Inputs gab es bislang schon von den Experimental– und Neurooekonomen.

Eine Kritik besonderer Art lieferte Mai 2010 James Galbraith, der Sohn des bekannten Oekonomen und Präsidentenberaters John Kenneth Galbraith, der in seinem Buch „Der räuberische Staat – wie die Konservativen sich vom Markt abgewendet haben und warum die Liberalen das auch tun sollten“ (so die wörtliche Übersetzung des amerikanischen Titels) klarlegte, die Konservativen der USA hätten bis zur Bush-Regierung an freie Märkte, ausgeglichene Staatshaushalte und einen schlanken Staat geglaubt. Bush und seine Mannen aber hätten den Staat in den Dienst ihrer Clans gestellt; Devise sei gewesen, den Staat auszuplündern, um in Gesundheits-, Rüstungs- und Bauindustrie fette Gewinne einzuheimsen, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste in anderen Bereichen.

Dies ist eine Aussage mit Brisanz, die zeigt, dass nicht nur die Privatwirtschaft, sondern letztlich auch der Staat korrumpierbar ist. So neu aber ist diese Erkenntnis nicht: wo auch immer Menschen werken droht deren Verführbarkeit, ist deren Integrität gefährdet, deren Verantwortungsbereitschaft auf die Probe gestellt.

 

Galbraiths Kritik mündet aus in den Wunsch nach einer starken Vormachtstellung der USA — auf der Grundlage einer vorbildlichen, vernünftigen und verantwortungsvollen Politik.

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Mit der Griechenland-Krise im Frühjar 2010, der sich im Herbst die Irland-Krise angeschlossen hat, mehrt sich zunehmend die Kritik am staatlich bzw. durch EU-Instrumente  finanzierten  „Aufkauf“ (Bailout) ganzer Staaten und damit in Zusammenhang ganzer Banken-Konvolute. Dieser Kritik stehen ebenso engagierte Befürworter vor allem aus den Reihen der  Politiker gegenüber.

Damit ist aber das Forum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung verlassen, die Bühne des politischen Agierens und Aktivismus wird betreten: die Bürgerinnen und Bürger sind zunehmend besorgt und alarmiert, was sich im öffentlichen Diskurs zeigt. Auch die Riege der Wirtschaftswissenschaftler nimmt öffentlich zu Staatsverschuldung, „EURO-Krise“ und Rettungsschirm (EFSF) Stellung, so z.B. in Deutschland: sie haben sich „gemeinsam gegen die geplante Ausdehnung des Euro-Rettungsschirms ausgesprochen. Sie warnen vor „fatalen Folgen“. Der von Kanzlerin Merkel angeregte „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ sei nicht durchsetzbar“ (FAZ, 24.02.2011). Der „Europäische Stabilitätsmechanismus (EMS)“, ab 2013 in kraft,  gewinnt so etwas wie Zentralbankcharakter, wie auch die Bezeichnung eines seiner derzeit noch geltenden zwei Vorläufer des Titels  „Europäische Finanzstabilitätsfazilität“ (der andere trägt den Titel „Europäischer Finanzstabilitätsmechanismus“, kurz EFSM) dem Kundigen unschwer offenbart (Fazilität).

Aus deutscher Sicht auf den Punkt bringt es die politische Initiative der Professoren Hankel (Wikipedia-Eintrag, Blog-Eintrag), Nölling (Wikipedia-Eintrag, Blog-Eintrag), Schachtschneider (Wikipedia-Eintrag, Blog-Eintrag) und Starbatty (Wikipedia-Eintrag, Blog-Eintrag) sowie dem ehemaligen Thyssen-Vorstandsvorsitzenden Spethmann (Wikipedia-Eintrag), die zu einer Klage beim Bundesverfassungsgericht Karlsruhe führte (Klagsschrift vom 5. Juli 2010). Die zunächst abgewiesene Klage wurde in einem zweiten Anlauf zugelassen; Stellungnahme und Urteil stehen zur Zeit (24. April 2011) aus. Eine am 23. Februar gegebene Pressekonferenz wurde von den Medien so gut wie ignoriert. Das im Internet veröffentlichte Video der einstündigen Pressekonferenz musste auf behördliche Anordnung (?) nach wenigen Wochen vom Netz genommen werden; Näheres dazu bei Hankel (siehe auch Postings, z.B. das Posting von Porsch vom 8. April 2011). Schon 1998 hatten die Professoren gegen die Einführung des EURO erfolgtlos geklagt. Auch Nigel Lawson, 1983 bis 1989 englischer Finanzminister unter Margaret Thatcher, begegnete 1998 der  in Umsetzung befindliche EU-Gemeinschaftswährung mit argumentativ gewichtig unterlegtem Unbehagen.

Neuerdings wittern einzelne, gegen den politischen Mainstream anschwimmende Realpolitiker, wie z.B. der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, Ungemach. Schäuble „geht vor dem IWF-Lenkungsausschuss mit der Bankenwelt ins Gericht. Die Banken müssten ihre Bilanzen in Ordnung bringen - und im Ernstfall sollten auch Bankenriesen abgewickelt werden können.“ (Handelsblatt, 19.04.2011).  Die finnische Wäherschaft zeigte unlängst Sympathien mit der EU- und EURO-kritischen rechtspopulistischen Partei der „Wahren Finnen“ und stellte so jüngste Abmachungen auf höchster EU-Ebene in Frage: „geht es nach den Rechtspopulisten, wird es kein Geld mehr für Schuldenstaaten der Euro-Zone geben. Aber auch die Sozialdemokraten haben klar gemacht, dass sie einem Rettungsschirm nur zustimmen, wenn die Finanzkonzerne am Risiko beteiligt werden. Ist nach der Wahl die Mehrheit im finnischen Parlament und damit Finnland gegen Euro-Nothilfe, sind die von Brüssel geplanten 80 Milliarden Euro zur Rettung Portugals blockiert, denn dafür ist Einstimmigkeit nötig.“ (DIE WELT, 17.04.2011). Schon fragen sich Kommentatoren, ob sich die (deutsche) Bevölkerung von der Devise EURO abzuwenden bereit ist bzw. dies schon getan hat; eine Abkehr von der Gemeinschaftswährung käme einem erheblichen Vertrauensschwund in die Währung gleich – mit unabsehbaren Folgen wirtschaftlich und politisch.

Unter den Befürwortern der Rettungsschirmlösung finden sich neben den Politikern EU-nahe Amts- bzw. Funktionsträger wie z.B. der für den Bereich Volkswirtschaft zuständige Ökonom der Europäischen Zentralbank (EZB) Jürgen Stark. Dieser lehnt eine Umschuldung bzw. Insolvenz finanznotleidender Staaten ab, wie aus einem ZDF-Interview vom 23.4.2011 zu entnehmen ist: dies käme einer Finanzkatastrophe gleich, viel größer als jene, die die Schließung der Lehman-Brother-Bank hervorgerufen habe. Auch von sozialistischer Seite werden Bedenken an Umschuldungen bzw. Insolvenzen angemeldet, die katastrophale Entwicklung neoliberalen Einstellungen, den Finanzmärkten und ihren Spekulanten angelastet (World Socialist Web Site, 23.4.2011).

In Österreich wird das Thema Rettungsschirm weniger heiß diskutiert, doch sowohl von Seiten der Wirtschaftswissenschaften wie der Politik herrscht eine gewisse Skepsis. Schärfere Kommentatoren aus demjournalistischen Bereich wie etwas Franz Schellhorn von „Die Presse“ schlagen jedoch ganz „bundesdeutsch“ schärfere kritisch-aggressive Töne an (z.B. zuletzt im Kommentar vom 22.4.2011). Während das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO und die Zentrum für Verwaltungsforschung KDZ, beide in Wien, seit Jahren eine Verwaltungsreform auf föderaler Ebene fordern, verhindern Landes- und andere Politiker solche bitter notwendigen Reformen.

Die rezente Kritik an wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Verhältnissen aber ist die Grundlage einer Hoffnung auf Besserung: die Innovationskraft von Menschen hat jedes Mal noch Krisen bewältigen lassen. Bangemachen gilt nicht, denn immerhin: hochriskante Situationen bergen immer die größten Chancen.