Wien — Österreich

Werkstatt Sozialwissenschaft

Links (Fortsetzung) zu den Sozialwissenschaften, ihren Disziplinen,

ihren Institutionen in Österreich und international — WiWi 2

 

 

 

Kurzer Überblick über die Entwicklung von Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaften

A) Wirtschaftsentwicklung und vorwissenschaftliche Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften

B) Wirtschaftsentwicklung und wissenschaftliche Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften

a) Vom Merkantilismus bis zum Zweiten Weltkrieg

b) Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ausbruch der Finanzkrise

c) Nach dem Ausbruch der Finanzkrise bis heute

 

C) Wirtschaftswissenschaften in der Krise: Ende oder Neuaufbruch?

            

Dieser Zeitraum umfasst das 17. bis 20. Jahrhundert. Er ist zunächst geprägt vom Aufstieg und Niedergang kaiserlicher, königlicher, fürstlicher absolutistischer Staatswirtschaften. Unter Herausbildung nationalstaatlicher Tendenzen traten an deren Stelle mehr und mehr marktwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsauffassungen. Diese erreichten in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihre erste Hochblüte im Nationalliberalismus, Liberalismus und Kapitalismus.

Als Paradebeispiel einer nationalliberalen Entwicklung mag das Vereinigte Königreich von England und Irland gelten, das sich im 18. und 19. Jahrhundert imperialistisch zur vorherrschenden Handels– und Seemacht entwickelt und in der Regierungszeit Königin Viktorias führende Wirtschaftsmacht der Welt wird. Insbesondere liberale, anfänglich weniger nationalliberale Entwicklungen auf dem europäischen Festland kündigen sich im Aufstand des (bürgerlichen) dritten Standes in der französischen Revolution 1789-99 an und setzen sich — nach der unruhigen Zwischenzeit der Napoleonischen Kriege (Koalitionskriege)— 1815 erst zögerlich gegen die am Wiener Kongress beschlossenen restaurativen Tendenzen durch, nun aber mit nationaler Betonung.

Ab dem Revolutionsjahr 1848 beschleunigt sich dieser Prozess unter dem Eindruck der industriellen Revolution in England, die bald auch das europäischen Festland ergreift, hier neben den anderen Staaten wie Frankreich vor allem Deutschland mit seinen zahlreichen Kleinstaaten, später auch das österreichische Kaiserreich. Dieses sich industrialisierende Österreich, das ab 1867 bis 1918 als k. und k. österreichisch-ungarische Doppelmonarchie in Erscheinung tritt, ist ein Vielvölkerstaat eigentümlicher liberaler Prägung: die staatliche Integrationsfigur Kaiser Franz Joseph I. trägt — gerade zu Beginn ihrer Amtszeit 1848 — noch Züge eines aufgeklärten Absolutismus, einer josephinischenRevolution von oben“. Doch mehr und mehr drängen eine gebildete und selbst gut aufgeklärte und – u.a. Folge der errungenen Pressefreiheit 1848 – wohlbelesene und gut informierte  Bürgerschaft auf Selbstverwirklichung durch wirtschaftliche Selbstbestimmung und Unabhängigkeit in Eigenverantwortung. Unter dieser für das 19. Jahrhundert beispielhaften Bürgerschaft in Form eines Bildungsbürgertums mit seinen Salons spielen die großen jüdischen Familien Wiens eine bedeutende Rolle, werden schließlich zum teils nichtnationalen, teils deutschliberalen Motor der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Sie behalten diese Rolle bis 1914 bzw. 1918 bei, verlieren aber nach und nach unter dem seit den 1880ern wachsenden antisemitischen Tendenzen an Einfluss.

Einem ausgeprägten Nationalliberalismus huldigt u.a. Deutschland, vor allem ab 1871 in der Form als deutsches Kaiserreich; Kaiser Wilhelm II. treibt diese Entwicklung auf die Spitze: Deutschland, nicht England, soll erste See– und Handelsmacht der Welt werden, koste es, was es wolle; selbst die Knaben in ihren nun modernen Matrosenanzügen, die Schulen mit ihrem militärischen Drill dienen gleichsam diesem kaiserlichen Willen.

Doch die industriellen Revolution, die vom bürgerlich-liberalen Lager getragen wird, hat in Massenarbeitslosigkeit und Arbeiterelend ihre erschreckende Kehrseite. Das Massenelend ruft Proteste, Arbeiteraufstände, soziale Bewegungen hervor, an deren Spitze sich Marx und Engels, die Arbeiter-, Gewerkschafts– und Arbeiterparteibewegungen mit ihren Persönlichkeiten, in England der Fabianismus als landesspezifische, bald international wirkmächtige Bewegung setzen. Die Wirtschaftswissenschaften gerade in Deutschland mit seiner historischen Schule ziehen nach, der sogenannte Kathedersozialismus etabliert sich.

Die vom Nationalliberalismus genährten, durch kolonialistischen Wettlauf untereinander verschärften internationalen Spannungen entladen sich im großen Krieg, dem ersten Weltkrieg. Aus diesem gehen das deutsche und österreichische Kaiserreich als gedemütigte Verlierer – so deren Selbstsicht – und verschuldete Republiken, die Weimarer Republik und Deutschösterreich (1918-1919, danach Republik Österreich) hervor. Sie versinken alsbald in Staatsschuldensumpf, Inflation und Hyperinflation sowie Massenarbeitslosigkeit, u.a. infolge der ihnen durch die Friedensmächte auferlegten Reparationszahlungen. Zum vermeintlichen Retter der Not wirft sich Hitler auf, wird von den Massen dazu stilisiert. Die desaströse wirtschaftliche Situation und demokratieunerfahrene Nationen erleichtern diesen Prozess, der auf der Schiene von Rassenwahn und Antisemitismus die Doppelkatastrophe von zweitem Weltkrieg und Holocaust heraufbeschwört.

 

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Auf dem Hintergrund dieser grob skizzierten geschichtlichen Entwicklung verläuft die Verwissenschaftlichung der diversen wirtschaftlichen Auffassungen und Einsichten.

Im 17. und 18. Jahrhunderts, also zur Zeit des Absolutismus, bilden sich Vorläufer einer „rein theoretischen“ Volkswirtschaftslehre heraus, vor allem in Frankreich der Merkantilismus (Colbert) und spätere Physiokratismus (Quesnais, Turgot), in Deutschland und Österreich der Kameralismus; hinzu tritt der wissenschaftlich begründete Interventionismus in England (Steuart, Jahrzehnte später Marx und Engels) und den USA (Carey in der Mitte des 19. Jahrhunderts).

Diese praktische bzw. angewandte Volkswirtschaftslehre steht zeitlich und graduell in wechselndem Ausmaß im Zentrum des Interesses nationaler Regierungen, teils unter den sehr weiten und etwas schillernden Begriffen Politische Ökonomie, Sozioökonomie bzw. Sozialökonomie, teils, vor allem heute, unter dem konziseren Begriff Wirtschaftspolitik mit ihren sich ergänzenden wissenschaftlichen Disziplinen Positive Ökonomik (Diagnostik und Prognostik) und Normative Ökonomik (Erarbeitung politischer Ziel– und Handlungsvorgaben) sowie den politischen Disziplinen Ordnungspolitik (Festlegung von Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns von Menschen, Unternehmen, Institutionen, z.B. unter dem Aspekt des Wettbewerbs), Strukturpolitik (staatliche Regulierung der Branchenzusammensetzung eines Staates, Ordnung der Infrastruktur: Infrastrukturplanung und Infrastruktur(aus)bauRaumplanung) und Prozesspolitik (staatliche Markteingriffe: Interventionen im Rahmen handelspolitischer, sozial– und arbeitsmarktpolitischer, finanz-, fiskal–, währungs- und geldpolitischer sowie konjunkturpolitischer Regelungen). Sie steht— als angebots– oder nachfrageorienter Wirtschaftspolitik - in engerem Bezug zur Finanzwissenschaft, die sich explizit mit den öffentlichen Haushalten einschließlich dem Steuerwesen wissenschaftlich beschäftigt, nicht aber mit den Wirtschaftssubjekten in Gestalt von Unternehmens– oder Privathaushalten

So bildete die Volkswirtschaftslehre vor allem im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ein spezielles, dienstmagdartiges Teilgebiet der Staatswissenschaften zu Gunsten eines obrigkeitsgelenkten Staatswesens, das sich mit Blick auf die aufkommenden sozialistischen Theorien um objektive, wissenschaftliche Basierung seiner Wirtschaftspolitik unter dem Primat sozialer Fürsorge bemühte; dies nicht zuletzt unter dem Eindruck des in den Wirtschaftskrisen Mitte des 19. Jahrhunderts (englische Bahnkrise 1847, New Yorker Bankkrise 1857, Gründerkrise 1873)  zusammenbrechenden Manchester– oder Laisser-faire-Liberalismus.

Die in etwa zur gleichen Zeit sich vorbereitende (Gossen, 1854) und zum Durchbruch gelangende subjektivistische marginale Revolution der 1870er Jahre (Menger, Jevons, Walras) brach mit den objektivistischen Auffassungen und insbesondere mit dem Werteparadoxon der englischen Klassik (Hume, Smith, Malthus, Ricardo, J.S. Mill). Die englische Klassik der Nationaloekonomie war dem Interventionismus abhold und stand in engem Zusammenhang mit dem damals gerade modernen Utilitarismus und dessen Hauptvertretern Bentham und J.S. Mill, der oben schon erwähnt wurde. Die weiterentwickelte Grenznutzensicht stellte die Möglichkeit einer objektiven Grundlegung von Wirtschaftspolitiken grundsätzlich in Frage.

Hervor trat hier ab den 1870ern — in Auseinandersetzung mit der deutschen historischen Schule im sog. Methodenstreit — vor allem die Österreichische Schule der Nationalökonomie, die von Carl Menger  begründet und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Böhm-Bawerk, Philippovic, Wieser, Mises und Hayek weiterentwickelt wurde. Die Österreichische Schule der Volkswirtschaftslehre trat in dieser Zeit in scharfen Gegensatz zu sozialistisch orientierten Wirtschaftspolitiken mit ihren Tendenzen zur zentralen Zwangsverwaltungswirtschaft und opponierte folgerichtig gegen entsprechend organisierte Staatswesen,  so vor allem gegen Russland und seine Bruderstaaten des Realsozialismus und gegen das nationalsozialistische Deutschland mit seiner antikapitalistischen Prägung. In dieser Zeit profilierten sich Sozialismus und Kommunismus einerseits sowie Kapitalismus andererseits — als Spätkapitalismus in seinen verschiedenen Definitionen — zu miteinander unvereinbaren Gegensätzen; Sozialdemokratie und Sozialliberalismus, auch Linksliberalismus genannt, ringen seither um eine Mittelstellung zwischen den beiden. Im Spätkapitalismus sahen bis etwa um 1990 bzw. sehen noch heute kommunistische und sozialistische Denker eine letzte Vorstufe vor dem Eintritt in eine kommunistische Ära; so lautet die gerade in der sozialistisch-kommunistischen Welt bisweilen heftig diskutierte Stamokap-These (Staatsmonopolkapitalismus).